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Vukovar – Der vergessene Weg zwischen Donau und Adria.

Von Freya Schuen (27), Universität Wien.

Dora ist 97 Jahre alt und lebt in der Altstadt von Dubrovnik, einer malerischen Stadt im südlichen Dalmatien. Die Stadt thront mit ihren herrschaftlichen Mauern über den schroffen Felsen der Adriaküste. Sie hat nichts mit dem flachen Sumpfländern der Donauregion in Slawonien gemein. Wenn man Doras kleine Wohnung betritt, fallen die feinsäuberlich gestapelten Kartons im Vorzimmer als erstes auf. Es sind viele Pakete, die sie selbst füllt, zuschnürt und frankiert. In den Kartons befindet sich Kleidung, die von Bekannten und Freunden gespendet wird; neue Socken, gebrauchte Jacken aber auch frische Hemden bekannter Marken landen in diesen Kartons. Jeden Freitag verpackt sie die Spenden und verschickt sie mit der Post in den Nordosten des Landes. Ihr Vorzimmer ist damit eine Art Hafen geworden. Wenn man nachfragt, was der Sinn und das Ziel der Spendenpakete ist, erhält man eine einfache Antwort. Sie schickt die Pakete zur Caritas in Vukovar und das schon seit so vielen Jahren, dass sie selbst nicht mehr sagen kann, wann sie damit angefangen hat. Für Dora ist Vukovar spätestens seit dem Jugoslawienkrieg der ärmste Fleck des Landes und sie möchte den Menschen vor Ort mit ihren Kleiderspenden helfen.

Betrachtet man die turbulente Geschichte der Stadt wird aber sofort klar, dass Vukovar nicht immer die Stadt war, die Dora heute in ihr sieht.

Vukovar befindet sich im östlichsten Teil Slawoniens und besitzt Kroatiens einzigen Donauhafen. Damit gehörte sie lange Zeit zu den wichtigsten Umschlagplätzen der Region. Zur Zeit der K.u.K.-Monarchie war sie eine wichtige wirtschaftliche Verbindung zwischen der Donau und dem Mittelmeer und vereint so zwei zentrale Gewässer Europas.

Blickt man in die Vergangenheit, so zeugt auch die einstige demografische Zusammensetzung der Stadtbevölkerung von dem bunten Treiben, das hier stattfand. Die Stadt war lange von Immigration und Pluralität geprägt. Die geografische Lage an der Donau machte die Hafenstadt äußerst attraktiv für Investoren, Unternehmer aber auch Arbeiter aus ganz Europa. Gerade der hohe Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung prägte das gesellschaftliche Geschehen des 19. Jahrhunderts. Die Umgangssprache der Hafenstadt war damit lange Zeit Deutsch. Es wurde aber auch auf Ungarisch, Serbisch und Slowakisch gehandelt, eingeladen, ausgeladen, gebaut und gewirtschaftet.

Aber was machte die geografische Lage des Hafens Vukovar so attraktiv?

Vukovar liegt an jener Stelle, an welcher der kleinere Fluss Vuka in den großen Strom der Donau fließt, welche heute die Grenze zwischen Kroatien und Serbien darstellt. Der einzige Donauhafen des Landes ist damit auch ein Grenzhafen. Doch nicht nur die unmittelbare Nähe zum wohl wichtigsten Fluss Mitteleuropas macht die geografische Position Vukovars so attraktiv. Die Stadt liegt in der pannonischen Tiefebene, welche sich durch ihre unendlich lang anmutenden flachen Landstriche und durch ihre ausgesprochen fruchtbare Erde auszeichnet. Hier wächst unter anderem die berühmte slawonische Eiche, und die Region ist für ihre hervorragenden Weißweine bekannt.

Durch die pannonische Tiefebene und das nicht sonderlich hohe dinarische Gebirge in der Mitte des Landes könnte man mit einer Zugverbindung zwischen Vukovar und Rijeka den lang ersehnten Wunsch nach einer Verbindung zwischen der Donau und dem Mittelmeer zumindest auf einer Handelsroute ermöglichen. Der Bauingenieur Franz Jakob Kreuter versuchte sich an dem Projekt, diese beiden wichtigen Gewässer durch eine Eisenbahn zu verbinden. Er entwickelte in den 1850er Jahren ein Konzept, das zunächst Vukovar und später Semlin (heute Zemun, Serbien) mit Rijeka durch eine Eisenbahn verbinden sollte. Der Hafen in Rijeka war zu dieser Zeit nach Triest der wichtigste Mittelmeerhafen Österreich-Ungarns und hätte als Ziel dieser Strecke wohl noch mehr Relevanz erhalten. Dieses Unterfangen hätte große politische und wirtschaftliche Bedeutung gehabt. So hätte es die fruchtbaren Ackerländer des Banats durch eine neue Handelsroute attraktiver gemacht, da man die Erträge der Felder relativ schnell in die Welt verschiffen könnte. Kreuter erträumte sich damit das Aufkommen eines noch nie dagewesenen Wohlstandes der Region durch die Abkürzung der Handelsrouten. Der Donauhafen Vukovar wäre das Tor zum Mittelmeer und von dort zur ganzen Welt gewesen. Durch die günstigen geografischen Bedingungen für den Bau der Eisenbahn wäre diese Route, so der Bauingenieur, eine der wichtigsten Handelswege für Österreich-Ungarn geworden. Die Eisenbahn hätte die ertragreichen Böden, Industriegebiete und die Adriaküsten zu einer pulsierenden Region des wirtschaftlichen Treibens vereint. Doch zur Realisierung dieses ehrgeizigen Projektes kam es am Ende nie vollständig.

In der Geschichte Vukovars kann man aber heute noch die Spuren eines einst mondänen wirtschaftlichen Lebens erkennen, welches nie zu seinem eigentlichen Potential emporsteigen konnte.

Dass der Traum einer effizienten Verbindung zwischen der Donau und der Adria noch nicht zu Ende ist, zeigt ein Blick in die aktuellen Nachrichten. Durch den Krieg in der Ukraine und der damit einhergehenden Blockade der Schwarzmeerhäfen, sieht man sich nach anderen Transportwegen für das wichtige ukrainische Getreide um und entdeckt dabei den kleinen Donauhafen Vukovar wieder. Über die Donau bis nach Vukovar und von dort aus nach Rijeka in das Mittelmeer könnten so die Güter aus dem östlichsten Teil der Donauregion in die ganze Welt transportiert werden. Dafür bedarf es aber einem Ausbau und eine Modernisierung der kroatischen Bahn, denn bis heute gibt es keine durchgehende und schnelle Verbindung zwischen den beiden Häfen.

Auch die 2017 gegründete „Danube-Black Sea Gateway Region Cooperation Platform“ arbeitet an einer ähnlichen Idee. Die Initiative wurde von verschiedenen Partnern, darunter die Regionen Niederösterreich und Wien, die Städte Varna, Burgas (Bulgarien) und Galati (Rumänien), der Hafen Budapest (Ungarn), die Hafenbehörde Vukovar (Kroatien), Public Ports (Slowakei), Bulgarian Ports (Bulgarien), die Universität Novi Sad (Serbien), gegründet, um die Handelsrouten entlang der Donau wieder attraktiver zu machen. Ein Ziel ist es, den Warenverkehr in Europa umweltfreundlicher zu machen, was laut dem Projekt mit dem Ausbau der Wasserrouten möglich wäre. Auch hier könnte dem Hafen Vukovar eine tragende Rolle zukommen.

All diese neuen Ideen, die eigentlich die Wiederentdeckung von alten Träumen sind, brauchen natürlich politischen Willen und großzügige Investitionen.

Aber wer weiß, vielleicht wird die Vision eines mondänen und wirtschaftlich bedeutenden Vukovar und seines Donauhafens eines Tages Wirklichkeit? Vielleicht würde dann jemand wie Dora nicht mehr Pakete nach Vukovar schicken, sondern Waren aus der Stadt selbst erhalten?