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Ist die Donau ein Raum der Begegnung?

Oder ist die Donau doch eher durch ihre trennende Eigenschaft zu charakterisieren?

Von Sarah Indries, Universität Wien

Betrachtet man die naturräumlichen Gegebenheiten der Donau, so erscheint der zweitgrößte Strom Europas eher als trennendes Element. Zum einen waren es die Flussdurchlässe, nicht ausgebaute Ufer, Überschwemmungen und jahreszeitlich wechselnde Witterungsverhältnisse, die die Donau als Transportweg über Jahrhunderte nicht ganzjährig und durchgängig schiffbar machten. Zum anderen stellten Engpässe und Strudelbewegungen selbst die geschicktesten Schiffer vor schwer zu überwindende Herausforderungen. Für die Donauschifffahrt ist das „Eiserne Tor“ - an der Grenze zu Rumänien und Serbien - ein markantes Beispiel. Die „natürlichen Hindernisse“ am Eisernen Tor zwangen die Schiffer sogar dazu, ihre Ladung an Land umzuladen, 20 bis 30 km auf dem Landweg zu transportieren und schließlich für den Weitertransport auf der Donau wieder auf ein Schiff zu verladen.

Auch der Begriff „Grenzhafen“ tauchte im Rahmen der Spring School immer wieder auf. Beispiele sind der Hafen Komárno (ungarischer Name: Komárom) auf der slowakischen Seite der Donau an der Grenze zu Ungarn und der kroatische Hafen Vukovar an der Grenze zu Serbien. Der Grenzhafen in Vukovar erscheint mir besonders interessant, da es hier aufgrund ungünstiger natürlicher Gegebenheiten und ethnischer Konflikte nie zu einem Brückenbau kam und die Donau hier tatsächlich als Trennung diente.

Neben der Interpretation der Donau als trennender Faktor kann der Fluss auch als Raum der Begegnung interpretiert werden. Richtet man den Blick nur auf das 19. Jahrhundert, so ergibt sich bereits das Bild des Donauraums als einer großen Kontaktzone. Ab 1834 fuhren die ersten Schiffe der Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft auch hinter dem Eisernen Tor und 1856 wurde die Europäische Donaukommission gegründet, die eine Deeskalation und Friedensordnung an der unteren Donau anstrebte. (Vgl. Gatejel (2014)). Diese beiden institutionellen Gründungen beschreiben bereits eine Zeit, in der das schwer kontrollierbare Flussgebiet durch Infrastruktur- und Städtebauprojekte neu erschlossen wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts folgten der Bau von Kais, Kanälen, Werften, Lagerhäusern, Zollhäusern, offenen Märkten, Gasthäusern, Kneipen und Erholungseinrichtungen entlang der Donau. Häfen wurden neu gegründet, ausgebaut und wuchsen zu noch größeren Kommunikationszentren heran, in denen transnationale, transkontinentale und regionale Netzwerke entstanden und materielle und immaterielle Güter ausgetauscht wurden. Nicht minder wichtig ist die Eisenbahn als Bindeglied zum Hinterland.

Diese neue Erschließung des Raumes hat direkten Einfluss auf die Identität und Wahrnehmung des Raumes. Dabei ist der Raum um die Häfen nicht nur durch die Hafeninfrastruktur geprägt, sondern die Donau ist auch als Begegnungsraum mit politischer Dominanz zu verstehen. Dies soll am Beispiel des Grenzhafens Zemun, der seit 1718 zur Habsburgermonarchie gehörte und als Teil der Militärgrenze integriert war, durch die Darstellung von Zemun auf einer Postkarte veranschaulicht werden.

Abbildung 1: Postkartensammlung (Institut für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde)

Das zentrale Motiv dieser Postkarte (Abb. 1) ist die militärische Festung an der Donau, weniger die Stadt, die sich um den Stützpunkt herum befindet. Festungen sind Zeichen einer politischen Präsenz, die ihre militärische Einsatzfähigkeit und den Willen zur Aufrechterhaltung der eigenen Herrschaft visuell demonstrieren will.

Ein gutes Beispiel für das Verständnis von Häfen als Kommunikationszentren ist Brăila - ein Hafen, der in der „Pufferzone“ zwischen dem Osmanischen und dem Russischen Reich lag. Mit seiner militärischen Bedeutung sowie seiner wirtschaftlichen Signifikanz für den Getreidehandel hat der Hafen von Brăila aufgrund seiner Lage an der Donau sowie der Nähe zum Schwarzen Meer eine enorme Relevanz für den gesamteuropäischen Raum und überschreitet somit die Grenzen des mitteleuropäischen Raumes.

Die folgenden tabellarischen „Momentaufnahmen“ der Bevölkerung von Brăila (Abb. 2, Abb. 3) zeigen, dass Brăila, wie viele andere Hafenstädte auch, ein Ort der Multikulturalität war, die sich besonders in der religiösen, ethnischen und sprachlichen Vielfalt manifestierte, u.a. in Form von mehreren Schulen und religiösen Einrichtungen.

Abbildung 2: Vgl. Ardeleanu, C. (2017), 254-255.

Abbildung 3: Vgl. Kontogeorgis, D., Black Sea Project Port Cities. zitiert nach Colescu, L. (1905), 89.

Die Erschließung des Donauraums im Laufe der Jahrhunderte führte zu Konfliktsituationen, zur Entwicklung von Orten der Hybridität, die durch den Austausch von Waren und den Kontakt von Menschen geprägt waren, sowie zu einer veränderten Wahrnehmung des Raumes. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was verschwindet durch die Erschließung des Donauraums? Was wird zerstört oder in Vergessenheit geraten? Mit dieser Frage versuche ich mich mit der „Meistererzählung“ der Donauerschließung im 19. Jahrhundert im Zuge der „Verwestlichung“ und des Anschlusses an die kapitalistische Welt auseinanderzusetzen und zu hinterfragen, ob eine andere Erzählung möglich wäre.

Zwei Ansätze, die mich zur Auseinandersetzung mit der „Meistererzählung“ führten, waren eine Postkarte mit dem Titel „Zigeunerviertel mit Überschwemmungsgebiet“ und die sehr faszinierende Geschichte der Insel Ada Kaleh.

Abbildung 4: Postkartensammlung (Institut für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde)

Die Postkarte (Abb. 4) stellt eine Momentaufnahme des Lebensraums der Minderheit der Roma und Sinti in der heute Smederevo genannten Stadt in Serbien dar. Obwohl die Postkarte sehr wenig Kontext zu diesem Siedlungsraum bietet, ist die unmittelbare Nähe zum Überschwemmungsgebiet der Donau sowie zwei Personen im Zentrum der Abbildung erkennbar. Die Frage, inwieweit gesellschaftliche Randgruppen von der Erschließung des Donauraumes betroffen waren, erscheint mir anhand dieser Postkarte sinnvoll.

Der Besuch des Donauschwäbischen Zentralmuseums in Ulm im Rahmen des Programms der Spring School ermöglichte mir eine intensivere Beschäftigung mit der Insel Ada Kaleh, die im Museum sowohl als „türkische Donauinsel“ als auch als „versunkenes Paradies“ bezeichnet wird. Die verschiedenen historischen Bezeichnungen der Insel - Carolina-Insel, Neu-Orșova, Ada Kaleh - weisen bereits auf die Geschichte der Insel als umkämpfter Grenzposten zwischen dem Osmanischen und dem Habsburger Reich hin. Im Jahr 1878 wurde die Insel Teil von Österreich-Ungarn und seit 1923 gehört sie zu Rumänien.

Nach einer langen Phase militärischer Auseinandersetzungen um die Insel vermitteln Postkarten um 1900 das Bild einer von der muslimischen Kultur der Bewohner geprägten Idylle mit exotischen und pittoresken Elementen. Die Faszination dieses „friedlichen Ortes“ wird in der Gegenwart durch die Tatsache verstärkt, dass die Insel seit dem Bau des Kraftwerks am Eisernen Tor, das 1971 zur gezielten Flutung der Insel führte, nicht mehr zugänglich ist. Sowohl der Lebensraum der Roma und Sinti als auch die Ada-Kaleh-Insel weisen auf die kulturelle Vielfalt hin, die im Donauraum anzutreffen war, die aber durch die verstärkte Erschließung des Raumes seit dem 19. Jahrhundert großen Veränderungen ausgesetzt war, wenn nicht sogar zerstört wurde.

Die Teilnahme an der Spring School „Häfen an der Donau. Geschichte. Architektur. Menschen.“ empfand ich als gute Ergänzung zu meinem Masterstudium Interdisziplinäre Osteuropastudien an der Universität Wien. Die intensive Auseinandersetzung mit den Donauhäfen ermöglichte mir einen neuen Zugang zur Region Ostmittel- und Südosteuropa. Besonders spannend war der Ansatz, die Grenzziehungen verschiedener (Groß-)Reiche und Staaten in den Hintergrund treten zu lassen und nach Handlungsräumen jenseits dieser Grenzen zu fragen.

Darüber hinaus wurde ich durch die Beiträge der Lehrenden in den Panels mit der Frage nach der Narration einer oder mehrerer Donaugeschichten konfrontiert: Wie verstehen wir „Grenzhäfen“? Wie erzählen wir die Geschichten der „großen Donau-Projekte“? Finden Elemente, die durch diese Großprojekte an der Donau zerstört wurden, Platz in den Erzählungen? Wie viel Raum wird Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und sozialer Milieus eingeräumt?  Mit Blick auf die Gegenwart stellt sich die Frage: Wie verändert das „Wiederaufleben“ der Donauhäfen seit dem russischen Angriff auf die Ukraine die Narrative der Häfen?

Nach der Spring School sehe ich die Donau jetzt als etwas Dynamisches. Ein Raum der ständigen Veränderung, geprägt von Prozessen des Entstehens, der Zerstörung und des Verschwindens. Darüber hinaus glaube ich, dass die Donau weder als Kontaktzone noch als trennendes Element verstanden werden kann. Beide Interpretationen müssen flexibel angewendet und verstanden werden. Und genau darin liegt das Spannende an der Erforschung der Donau: Wie kann der Donaustrom in all seinen Facetten erfasst werden? Diese Herausforderung zeigt, dass es sich auch in Zukunft lohnen wird, sich mit den Donauhäfen und den Menschen im Donauraum zu beschäftigen.

 

Literaturverzeichnis

Ardeleanu, C. (2017), Foreign Migrant Communities in the Danubian Ports of Braila and Galati (1829-1914), In: Katsiardi-Hering, O., Stassinopoulou, M. A. (Hg.), Across the Danube. Southeastern Europeans and Their Travelling Identities (17th-19th C.) (Leiden/Boston), 254-274.

Dauerausstellung. Donau. Flussgeschichten, Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm, Ulm (Baden-Württemberg), Besuch am 18.04.2024, online zugänglich <https://www.dzm-museum.de/flussgeschichten/> (letzter Zugriff: 01.05.2024).)

Gatejel, L. (2014), Verkehr, Warenfluss und Wissenstransfer. Überlegungen zu einer internationalen Geschichte der Unteren Donau (1829-1918), In: Südost-Forschungen, H. 73, 414-428.

Kontogeorgis, D., Black Sea Project Port Cities. Demography & statistical data on population, online zugänglich <https://cities.blacksea.gr/en/braila/5-1/> (letzter Zugriff: 01.05.2024), zitiert nach Colescu, L. (1905), Recensământul general al Populațiunei României. Rezulatate definitive (Bucureşti: Serviciul Statisticei Generale), 89.